Wer ein neues Produkt mit Superlativen wie «Weltneuheit» und «Sensation» lanciert, muss sich daran messen lassen. Dies hielt die Migros nicht davon ab, im November 2021 ihre Ei-Alternative «The Boiled» mit genau diesen hochtrabenden Begriffen zu bewerben. Das rächt sich nun: Seit einem Jahr suchen Veganerinnen und Veganer das pflanzenbasierte Ei vergeblich im Regal. Für den Grossverteiler ein Marketing-Flop sondergleichen.
Dass eine «Weltneuheit» bereits nach kurzer Zeit vom Markt verschwindet, ist ungewöhnlich. In diesem Fall stampfte die Migros das Ei aber nicht ein, trotz teilweise negativer Rückmeldungen und schlechter Bewertungen auf dem hauseigenen Migros-Forum Migipedia. «Widerlich», «ekelhaft» und «ungeniessbar», beanstandeten einige Käufer dort.
Der Grund, weshalb das Ei noch immer in den Regalen fehlt, lag zuerst an einem technischen Problem: Vor einem Jahr stellte die Migros-Tochter Elsa bei einer Revision fest, dass bei der betreffenden Maschine ein Teil ersetzt werden musste. Da es sich um eine Spezialanfertigung handelte, kämpfte der Industriebetrieb der Migros mit langen Lieferfristen. Kürzlich traf das Ersatzteil endlich ein, die Produktion konnte wieder hochgefahren werden. Dennoch gibt es das vegane Ei weiterhin nicht zu kaufen. Warum? Es erfüllt die Qualitätsanforderungen noch nicht.
«Leider sind wir mit den ersten Resultaten noch nicht zufrieden», erklärt eine Migros-Sprecherin auf Anfrage. Weitere Justierungen seien notwendig, damit man das Produkt gemäss den eigenen Qualitätsansprüchen wieder anbieten könne. «Da die Rezeptur und die Herstellung hochkomplex sind, dauert das seine Zeit.» Man arbeite mit Hochdruck an einer Lösung und bedauere es, dass es zu dieser unerwarteten Verzögerung komme. Wann genau das pflanzliche Ei wieder in den Regalen steht, ist deshalb unklar.
Für die Migros bietet der Unterbruch die Chance, die Rezeptur des Eis zu überarbeiten. Die Kundschaft bemängelte beispielsweise, es schmecke chemisch und sei nur mit viel Sauce in einem Salat geniessbar. Die Migros entgegnete solchen Stimmen damals, auch herkömmliche Picknick-Eier würden «oft in den Genuss von etwas Gewürz» kommen. Vermutlich versucht Migros-Tochter Elsa nun, solche Mängel auszumerzen, damit das vegane Ei auch ohne Aromat schmeckt. Dabei waren die Ingenieurinnen und Ingenieure aber bisher offensichtlich erfolglos.
Am veganen Ei hat die Migros-Industrie jahrelang getüftelt. Es besteht aus Soja-Protein und setzt sich aus zwei unterschiedlichen Massen zusammen. Eine äussere weisse Hülle wird mit dem pflanzlichen «Eigelb»-Ersatz gefüllt. Ein Viererpack kostete bei der Markteinführung 4.40 Franken. Zum Vergleich: Vier Bio-Freilandeier kosten 3.55 Franken.
«The Boiled» ist Teil der veganen und vegetarischen Produktlinie des Grossverteilers. Diese umfasst mehr als 150 Produkte, wobei über 90 Prozent vegan sind. In der Branche sind Schnellschüsse, bei denen man die Rezeptur laufend anpasst, keine Seltenheit. So überarbeitet beispielsweise Nestlé ihren Garden-Gourmet-Burger in regelmässigen Abständen. Die Strategie lautet also: Lieber schnell auf dem umkämpften Markt präsent sein - jedoch mit der Gefahr, die Kundschaft mit der noch unfertigen Rezeptur zu vergraulen.
Tatsächlich scheinen bei Ei-Alternativen die Herausforderungen bei der Entwicklung besonders gross zu sein: Einen Rührei-Ersatz, den Coop im Sortiment führte, musste die Nestlé-Marke Garden Gourmet einstellen. Er bestand ebenfalls aus Sojaprotein.
Die Migros hofft indes, dass die Kundschaft Verständnis für das Fehlen des veganen Eis aufbringt - und es wieder in den Einkaufswagen legt, sobald es zurück im Regal ist. Der Kundendienst erhalte regelmässig Anfragen nach dessen Verbleib, so ein Migros-Sprecher. «Gerade in der veganen Community hat es eine solide Fangemeinschaft.» (bzbasel.ch)
Ich dachte zuerst, so krass es gibt kein Glacé mehr 😜